„Würde“ - 

Ein Grundrecht und was der Mensch zur Wiederbelebung dieses Begriffs beitragen kann

 (Verfasserin: Claudia Fritsche im April 2021)

  

Aufmerksam geworden bin ich auf das Thema der Grundrechte  und speziell dieses Artikels des Grundgesetzes durch die Coronakrise. Aufgrund der aktuellen Entwicklung innerhalb politischer Entscheidungen, scheint es um die Einhaltung einiger wesentlicher Grundrechte  nicht besonders gut bestellt zu sein und ich stelle mir die Frage, ob man gegenwärtig dem Staat überhaupt noch diese Aufgabe übertragen kann und soll. Stehen wir nicht vielmehr an einem Punkt, wo es immer bedeutsamer wird, dass der einzelne Bürger aus dieser Erwartungshaltung heraustreten sollte und damit der Hoffnung, der Staat sorgt für die Einhaltung der Grundrechte. Mein Eindruck ist vielmehr, dass immer mehr Menschen gegen die staatliche Bevormundung aufbegehren und bereit sind, selbstentschieden und selbstverantwortlich sich um die Wirksamkeit der Grundrechte zu kümmern.  Verantwortung setzt aber vor allem Wissen oder Erkenntnis in Bezug auf die gegebene Thematik und auch den Willen zur Umsetzung voraus, zwei Grundlagen, die im Menschen immer mehr zurückgedrängt erscheinen und einer Neubelebung bedürfen.

 

 

Aus meiner beruflichen Tätigkeit als Yogalehrerin und Yogatherapeutin und der damit einhergehenden  Auseinandersetzung mit seelisch-geistigen Entwicklungsfragen des Menschen, möchte ich gerne eine Schulungsmöglichkeit vorschlagen bezüglich der Vorgehensweise, wie man von einer Idee oder einem Begriff zu einer Empfindung kommt, die wiederum in einer weisheitsvollen Handlung ihren Ausdruck finden kann. 

 

Durch diese Art der Bewusstwerdung, durch diese schöpferische Aktivität, kann der Mensch in seinem Seelenleben wachsen und letztendlich damit auch seine Immunkraft stärken.

 

 

 

Schlägt man das Grundgesetz auf, dann erscheint der Begriff der „Würde“ mit dem Artikel 1 (1): „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ unter den übergeordneten Schlagwörtern Menschenwürde – Menschenrechte – Rechtsverbindlichkeit der Grundrechte, ganz am Anfang des Grundgesetzes und deutet auf eine übergeordnete Funktion hin.

 

So möchte ich nachfolgend versuchen, diesen wichtigen Begriff näher zu beleuchten.

 

Wenn ich nun überlege, wo und in welchem Zusammenhang das Wort „Würde“  im Alltag auftaucht, dann fallen mir spontan verschiedene Redewendungen ein, z.B.:

 

„Das ist unter meiner Würde“, oder „Da wird die Würde dieses Volkes mit Füßen getreten.“ usw.

 

 

Es empfiehlt sich den Begriff „Würde“ von seiner Herkunft zu betrachten. Lt. Wikipedia ist „Würde“ sprachgeschichtlich verwandt mit dem Wort „Wert“ und bezeichnete anfänglich den Rang, die Ehre, den Verdienst oder das Ansehen einer Person. So gab es und gibt es immer noch sog. Würdenträger (z.B.der Bundespräsident), denen Kraft ihres ausgeübten Amtes eine besondere Würde zukommt, die auf gar keinen Fall verletzt werden darf..

  

Anhand dieser zwei Beispiele tritt eine erste Unterscheidung zu Tage zwischen der äußerlichen Anwendung des Begriffes (Würde als Synonym für Ehre oder Ruhm) und dem inneren Wert des Begriffs der Würde.

 

 Dabei ist diese innere Wortbedeutung sehr weitreichend und betrifft das Innerste des Menschseins, das, was den Menschen tatsächlich und allgemeingültig ausmacht.  Dieser tieferen Bedeutung des Begriffs der „Würde“ werden wir uns nun annähern. Wie alle Werte und Erscheinungen, die wir heute vorfinden, unterliegt auch dieser Begriff einer Entwicklung und damit einem Wandel. Und dennoch kann man zusammenfassend sagen, dass es so etwas wie eine Ursubstanz geben muss, die für den Menschen, egal in welcher Zeit er gelebt hat, ein Fundament darstellt.

 

 

Ein kleiner Ausflug mit wenigen Beispielen in die Ideengeschichte (siehe Wikipedia) des Begriffs der „Würde“ kann zum Erfassen dieser Ursubstanz weiterhelfen:

 

                     Altes Testament: dem Menschen als Ebenbild Gottes ist die Würde gottgegeben und nicht verlierbar, jedem Menschen komme die Würde unabhängig von Lebensumständen und Verhalten zu .

 

                    Giovanni Pico della Mirandola (Renaissance-Philosoph): der Mensch hat die Freiheit, sein Wesen selbst zu schaffen. Die Selbstbestimmung, nach seinem eigenen Willen sein Leben in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen zu gestalten, macht nach diesem Ansatz die Würde des Menschen aus.

 

                    Europäische Aufklärung:

 

Immanuel Kant begründet die Menschenwürde mit der Vernunft des Menschen, die sich nur selbst ihr eigenes Gesetz (für die Beurteilung des moralisch Guten) gibt. Nach Kant hat ein Zweck an sich keinen Wert wie es ein Preis darstellt, kann nicht durch andere Zwecke aufgewogen werden und hat stattdessen einen inneren Wert, nämlich die Würde.

 

 Friedrich Schiller sieht in der Würde den Ausdruck einer erhabenen Gesinnung, wobei er im freien Willen des Menschen den entscheidenden Unterschied zum Tier sieht. Für Schiller entsteht Würde dann, wenn sich der Wille des Menschen über seinen Naturtrieb erhebt. In „Anmut und Würde“ schreibt Schiller: „Beherrschung der Triebe durch die moralische Kraft ist Geistesfreiheit, und Würde heißt ihr Ausdruck in der Erscheinung.“

 

                    Bei Bertold Brecht findet sich die wesentliche Unterscheidung von „Ehre“ als etwas Äußeres und „Würde“ als etwas Inneres.

 

 

 Neben diesen beispielhaften, philosophisch herausgearbeiteten Annäherungen zum Begriff der „Würde“ gibt es den rechtlichen Begriff, der sich eben auch in der Bundesrepublik Deutschland  im Grundgesetz mit dem Artikel 1 Abs. 1 findet.

 

 

Aus all den Betrachtungen ist klar geworden, dass jeder Mensch mit denselben grundsätzlichen Möglichkeiten geboren wird und sein Leben selbstentschieden führen kann. Jeder Mensch ist mit derselben Freiheit zu denken, zu fühlen und zu handeln ausgestattet. Jedoch bedarf es einer großen inneren Aktivität, diese Freiheiten, die im Laufe des Lebens durch verschiedene Umstände oftmals tief verschüttet sind, wieder auszugraben.

 

 

  Wie kann nun diese innere Aktivität des Denkens und Fühlens aussehen, die dann durch eine würdevolle Handlung im Äusseren sichtbar wird? Was kennzeichnet denn eine würdevolle Handlung? Welche Werte liegen ihr zugrunde?

 

Heinz Grill schreibt im unten erwähnten Artikel: „Es ist ein Gesetz in der Menschheit, dass der Erfolg einer Handlung dann gewährleistet ist, wenn sie mit der inneren Reife und tiefsten Wahrhaftigkeit der Seele geschieht.“ und weiter: „Eine ehrenvolle Handlung geschieht nicht ohne Entscheidung..sie kann mit weiteren Attributen studiert werden. Sie ist nicht egozentrisch, materialistisch rückverhaftet, noch ist sie passiv oder emotional. Sie steht in Beziehung zu dem anderen und grundsätzlich erfüllt sie eine höhere Disziplin...“

 

 

 Diese hier verwendeten Attribute ermöglichen dem Menschen, der sich selbst um die Erlangung der Würde bemühen möchte (und dies nicht dem Staat überlassen wird) eine Richtschnur zur praktischen Umsetzung.

 

 Heinz Grill beschreibt in dem unten erwähnten post wie diese Aktivität vom Menschen umgesetzt werden kann: „...Die Handlung, wie sie mit Ehre und Wahrhaftigkeit getätigt wird, gibt eine beste Gelegenheit zur effektiven Umsetzung der Freiheit. Man beginne am besten mit dieser Selbstaktivität sofort und beobachte jeden Tag, wie die Handlungen in Beziehung zu den Mitmenschen Ehre offenbaren. Das eigene Selbst verbindet sich mit einem größeren Thema und die Ehre wird mit Sicherheit eine weitere Bewegung der Entwicklung bewirken.“

 

 Ganz praktisch kann man sich am Tagesende in Form einer Rückschau auf die vielseitigen Begegnungen die Frage stellen, wie weit einem eine würdevolle Handlungsweise gelungen ist. Die ehrlichen Selbstreflektionen können einen ermuntern, den darauffolgenden Tag wieder neu im Hinblick auf die Belebung des Würdebegriffs auszugestalten.

 

  Auch Mahatma Gandhi als geistiger und politischer Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung ruft mit seinem Zitat : „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“ dazu auf, sich selber auf den Weg zu machen, an seinem Inneren zu arbeiten und nicht auf eine Verbesserung der Verhältnisse von ausserhalb zu warten.

 

 

 

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Literaturhinweise zu diesem Artikel:

 

 Heinz Grill: „Die Würde – wie kann sie heute neu erlebt und verstanden werden?“, Artikel posted 11.09.2020, zu finden auf der website:  www.heinz-grill.de

 

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

 

Heinz Grill: „Übungen für die Seele“, Synergia Verlag

 

Rudolf Steiner: „Rückschau“, Rudolf Steiner Verlag

 

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/